Herr Dr. Dannenberg, früher musste jeder, der mit einem namhaften Autokonzern ins Geschäft kommen wollte, mit einem Wagen eben dieses Herstellers vorfahren. Ist das heute auch noch so?
Ja, darauf muss man auch heute noch achten. Das heißt: Wenn einer unserer Consultants etwa BMW oder Mercedes berät, dann fährt er auch mit einem entsprechenden Wagen zum Kunden.
Berylls ist ja auch im Ausland tätig. Was machen denn Ihre Consultants in Korea?
Die fahren selbstverständlich Wagen aus koreanischer Produktion.
Und Sie selbst? Was fahren Sie für ein Auto?
Der mir zur Verfügung stehende Fuhrpark ist groß. Ich beobachte den Markt, sehe mich stets nach Neuem um und habe deswegen so ziemlich jede Marke gefahren, die man sich vorstellen kann – selbstverständlich auch Modelle von Herstellern aus Japan, Korea und anderen Ländern.
Wer baut denn nun die besten Autos?
Im Volumensegment haben die ausländischen Hersteller stark aufgeholt. Die Qualität ihrer Fahrzeuge unterscheidet sich nicht mehr von der deutscher Hersteller. Einige sind sogar besser. Im Premiumsegment sehe ich aber immer noch die Deutschen führend, jedenfalls diejenigen, die sich als Premiumhersteller definieren.
Warum haben sich denn die deutschen Hersteller so lange Zeit gelassen mit der Umstellung ihrer Produktion auf Elektroautos und der Entwicklung selbstfahrender, autonomer Fahrzeuge?
Beim Thema autonomes Fahren liegen die Deutschen keineswegs hinter ihren Wettbewerbern zurück. Im Gegenteil: Sie sind hier führend. Die deutsche Autoindustrie hat den Trend sehr früh erkannt und entsprechend investiert...
… aber dabei offensichtlich nicht aufs richtige Pferd gesetzt. Mercedes-Benz etwa hatte gemeinsam mit anderen Herstellern Milliarden für den Aufbau des Kartendienstes „Here“ ausgegeben. Nun aber sagen die Stuttgarter, dass sie mit Google kooperieren und dessen Karten verwenden werden.
Das ist verständlich, denn beim autonomen Fahren kommt es auf die Genauigkeit der Karten an – und nicht auf Zusatzinformationen am Rande der gewählten Route, also etwa Hotels, Restaurants oder Sehenswürdigkeiten. Letztere Informationen liefert aber Google Maps, und das wollen die Kunden der Autobauer so haben.
Wo stehen die deutschen Hersteller beim Thema Elektromobilität?
Hier ist der US-amerikanische Autobauer Tesla nach wie vor führend. Sie müssen aber sehen, dass Tesla 2003 gegründet wurde und erst 2020 Geld verdient hat. In diesen 17 Jahren waren Verluste in Milliardenhöhe aufgelaufen.
Herkömmliche Autos verbrennen Sprit, Tesla verbrennt Geld, hieß es.
Richtig. Bei der Gründung von Tesla glaubte noch jeder, dass es unmöglich sei, mit dem Bau von Elektroautos Geld zu verdienen. 2008 stand Tesla knapp vor dem Konkurs. Kein etablierter Hersteller hätte sich so etwas leisten können – egal ob in Deutschland oder international. Das hätten die Aktionäre der Autokonzerne nicht mitgemacht.
Was ist mit BYD, Nio oder JAC? Warum haben die Chinesen schneller auf die Herausforderung von Tesla reagiert als die etablierten europäischen oder amerikanischen Hersteller?
Die chinesischen Elektroautos sind vor allem auf ihrem Heimatmarkt erfolgreich, und nicht zuletzt deswegen, weil sie dort großzügig subventioniert werden. Im Übrigen gibt es nicht nur Erfolgsbeispiele in China. Der in Shanghai ansässige Elektroautobauer WM Motor etwa musste kürzlich Insolvenz anmelden – trotz massiver finanzieller Unterstützung von Investoren wie dem größten chinesischen Autobauer SAIC oder dem chinesischen Internetriesen Baidu.
Keine Kritik an den Chefs der deutschen Autokonzerne?
Noch vor fünf Jahren waren über 99 Prozent aller Autos auf deutschen Straßen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Rein elektrisch angetriebene Autos und Hybridfahrzeuge zusammengenommen hatten einen Anteil von nicht einmal einem halben Prozent am gesamten Fahrzeugbestand. Auch heute noch sind 85 Prozent der verkauften Autos Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.
Tun die Hersteller zu wenig, um skeptische Kunden von der Attraktivität der Elektroautos zu überzeugen?
Nein, die Unternehmen tun alles. Ihre Produkte sind weitgehend ausgereift. Auf der IAA in München und auf anderen Automessen dominieren Stände mit neuen, attraktiven Elektrofahrzeugen. Auch das Netz an Ladestationen wird immer dichter. Staat und Hersteller fördern den Kauf, aber sie können niemanden zwingen, ein Elektroauto zu kaufen. Es dauert eben eine gewisse Zeit, bis sich die Gewohnheiten der Konsumenten ändern.
Der dänische Auto-Designer Henrik Fisker und verschiedene, kleinere Unternehmen haben schon vor 2009 angefangen, Elektrofahrzeuge zu bauen. Warum haben die großen Konzerne damals noch abgewartet?
Kleinere Hersteller und Startup-Unternehmen waren im Vorteil. Sie mussten keine Rücksicht auf eine bestehende Produktion oder die vorhandene Produktpalette nehmen. Die etablierten Hersteller dagegen mussten überlegen, wie man die Transformation hin zur Produktion von Elektroautos anpackt, ohne das Bestehende zu gefährden. Und trotzdem hätten die Deutschen schon drei, vier Jahre früher mit einem breiteren Angebot an Elektrofahrzeugen auf den Markt kommen können – nicht nur in Deutschland, sondern auch und gerade in China.
Als Spezialisten für die Beratung von Autoherstellen und Zulieferunternehmen gehören Ihre Berater zu jenen, die stark vom Umbruch in der Autobranche profitiert haben. 2021 erzielte Berylls Strategy Advisors einen Umsatz von 18,5 Millionen Euro. Wie hoch war der Umsatz 2022?
Der Umsatz unserer gesamten Firmengruppe belief sich 2022 auf rund 65 Millionen Euro.
Und im laufenden Jahr?
Wir werden auch 2023 wieder zweistellig zulegen. Wo wir aber genau mit unseren Zahlen liegen werden, kann ich derzeit nicht sagen.
Kriege und Inflation verderben den Konsumenten die Lust, Geld auszugeben. Auch die Unternehmen sparen. Sind Sie trotzdem optimistisch mit Blick auf 2024?
Eine seriöse Prognose kann man vor diesem Hintergrund nicht abgeben. Aber es gibt für Berylls Wichtigeres als ein zweistelliges Umsatzplus.
Was denn?
Qualifiziertes Personal ist wichtiger. Das ist ein wirklich limitierender Faktor für uns. Hochkarätige Consultants sind sehr schwer zu bekommen. Und das Selektieren und Gewinnen qualifizierter Berater verursacht einen enormen Aufwand.
Wieviele Consultants haben Sie dieses Jahr neu eingestellt?
Am Jahresende werden es wohl 60 bis 80 neue Berater sein. Zum Glück bekommen wir weit über 1000 Bewerbungen im Jahr.
Welche weiteren Ziele haben Sie sich gesteckt?
Wir wollen im Ausland stärker werden, vor allem in den USA und China. Und wir wollen die Qualität unserer Leistungen weiter verbessern.
In den einschlägigen Rankings sieht man Sie doch ohnedies bereits Kopf an Kopf mit McKinsey, Roland Berger und anderen bekannten Größen der Beraterbranche. Was wollen Sie denn noch besser machen?
Wenn es um Consulting in der Autoindustrie geht, halten uns unsere Kunden für die Besten. Das dokumentieren zum Beispiel die Ergebnisse der Umfragen, die Dietmar Fink von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung in Bonn unter den Auftraggebern der Consultants organisiert. Diese Position wollen wir behaupten. Und trotzdem können wir noch einiges verbessern.
Und was wäre das?
Wir wollen stärker in Richtung Umsetzung gehen. Wir haben auch eine ganze Reihe von Aufträgen, bei denen es um die Digitalisierung des Geschäfts unserer Kunden geht. Das wollen wir weiter vorantreiben. Außerdem wollen wir verstärkt in Beteiligungen investieren. Wir haben ein gutes Dutzend Startup-Unternehmen und Ventures im Visier, bei denen wir investieren wollen.
Beratungsfirmen, die in Beteiligungen investieren, wirft man häufig vor, sie würden ihre besten Leute bevorzugt dort einsetzen, wo sie sich beteiligt haben. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?
Unser Geschäft mit Beteiligungen lässt sich nicht mit dem Beratungsgeschäft vergleichen. Das ist etwas anderes. Für eine Beteiligung braucht man erfahrene Industriemanager und Spezialisten. Für die Beratung braucht man Consultants. Außerdem trennen wir unser Beratungsgeschäft klar von den Beteiligungen. Und nicht zuletzt: Unsere Beteiligungen sind eher klein.
Welche Synergien bestehen zwischen Ihrer Beratungstätigkeit und dem Geschäft mit Beteiligungen?
Zum einen nutzen wir unsere Expertise als Kenner der Automotive-Industrie für die Auswahl bestimmter, viel versprechender Ventures. Und selbstverständlich unterstützen wir als Berater auch diese Ventures. Aber diese Tätigkeit macht allenfalls ein bis zwei Prozent unserer Aktivitäten aus.